Kalk, Sand und Marmormehl

Beim Bauen ist es—für mich—wie beim Kochen: Es gibt nicht viel faszinierenderes, als die volle Kontrolle über die Zusammensetzung der verarbeiteten Produkte zu haben!

Bei dieser Arbeit war das wieder einmal der Fall: Ich hatte die Ehre, in einem neu erstellten, konsequent auf Effizienz durchkonzipierten 2-Familien-Haus alle mineralischen Oberflächen in den Innenräumen herzustellen. Die Bauherrschaft, der Architekt und ich waren uns einig, dass die Material-Wahl konsequent frei von „Bauchemie“ gehalten werden sollte, und es kam meinerseits eine recht überschaubare Menge an Baustoffen zum Einsatz:

  • Sumpfkalk
  • Marmorsand
  • Magerquark
  • Buchenzellulose
  • Leinöl
  • Marseiller Seife
  • Wasser

Sumpfkalk:

Sumpfkalk ist in jeder Schicht das Basismaterial.

Magerquark:

Mit Magerquark und Sumpfkalk wurde die Haftbrücke hergestellt. Im richtigen Mischungsverhältnis entsteht damit der sogenannte Kalk-Kasein-Leim. Mit Marmorsand gemischt ergibt sich eine ideale Haftbrücke mit ohne Plastik!

Buchenzellulose:

Buchen-Zellulose ist wie Tapetenkleister, nur eben sehr viel besser, weil erstens sehr viel klebe-kräftiger und zweitens schimmelwidrig. Damit wurde die erste Putzschicht vergütet, um eine bessere Haftung zur Haftbrücke zu gewährleisten.

Marmorsand:

Mengenmässig die eigentliche Hauptzutat jeden Putzes ist der Sand (oder Kies, oder Mehl, je nach Kornstärke und Schichtstärke). Es wurde Marmorsand anstelle von „normalem“ Sand (Fluss-Sand) verwendet, weil der Putz nicht grau sein sollte. Hier wurde 1.5 mm, 1 mm und 0.5 mm Korn verwendet.

Leinöl:

Der Zuschlag von Leinöl im Promille-Bereich hat einen massiven Einfluss auf die Material-Eigenschaften: Das Öl verseift im bzw. mit dem Kalk und macht das Material hydrophob, ohne die Dampf-Durchlässigkeit allzusehr einzuschränken.

Marseiller Seife:

Das Seifen eines frischen Kalk-Putzes hat eine ähnliche Wirkung wie das Beimischen von Leinöl: Die Seife verseift mit dem Kalk zu einer glatten, dichteren, ebenfalls hydrophoben Oberfläche.

  Das Haus:

Dieses Gebäude ist bewusst in recht zurückhaltender Weise gestaltet worden: Die schlichte Gebäudehülle mit den Holzelementen und präzise gesetzten Akzenten weisen auf die entspannte Atmosphäre im Inneren, wo es genauso weiter geht. Ein zurückhaltender, pragmatischer Grundriss, grosszügige Dimensionen, sehr viel Licht, und von Kopf bis Fuss (also, vom Fussboden bis zur Decke) hochwertige Materialien:

Massiver Eschenholz-Boden, Massivholz Türfutter (Eiche), Vollholz-Element-Decken, raumhohe Fenster mit 3-fach Verglasung und Filterfolie. Und mittendrin der naturweisse, verpresste Sumpfkalkputz…

Um den natürlichen Charakter und die herausragenden Eigenschaften dieses Werkstoffes zu unterstützen, habe ich die Wände in drei Schichten aufgebaut: Ein grober 1.5 mm Putz dient als Trägerschicht, darauf habe ich den 1 mm Putz mit Jigane-Kelle aufgezogen, um diesen zweischichtig mit 0.5 mm Feinputz abzuglätten und zuguterletzt die Deckschicht noch mit kleinen Polierkellen verpresst… phew!

Die Aufbaustärke beträgt ca. 5 mm. Für Wohnräume hervorragend, jedoch für Nassräume eher zuwenig (Sumpfkalk hält einiges aus, sollte aber dennoch nicht regelmässig bis zur Sättigung nass werden!) habe ich vorsichtshalber den Deckputz mit reinem, kaltgepresstem Leinöl vergütet und zusätzlich geseift. Diese Oberflächen haben dadurch nochmal ein anderes Qualitätslevel erreicht, sie sind hydrophop (Wasserspritzer perlen ab) und fühlen sich ganz anders an: Nicht so trocken-kristallin, eher „ölig“, „wachsig“…

Was bei solchen Objekten jeweils besonders wichtig ist, sind die diversen Details und Material-Anschlüsse. Auf die Schattenfuge an den Zargen wurde besonders grosser Wert gelegt, da dies wohl die meist-frequentierten und meist-betrachteten Kanten in der Wohnung sein dürften… Aber auch Fensterbretter (in den Bäder), oder die raumhohen Anschlusskanten zu den Fenster-Rahmen wurden sorgfältig herausgearbeitet.

Sicherlich ist die werte Leserschaft auch ein wenig neugierig, wie denn das Haus an sich so aussieht… Der Architekt, Melk Nigg, hat sehr auf eine ausgewogene Materialisierung geachtet, so dass Holz, Mineral, und Metall im Einklang zueinander stehen. Holz ist hier klar die Dominante, die Metall-Strukturen setzen Akzente, und die Mineralien bilden quasi den Hintergrund: Fensterscheiben (die werden nicht hinterfragt), das rohe, grobe Beton-Ding beim Treppenaufgang und die naturbelassenen Kalk-Oberflächen im Inneren. (Die ja schon prominent sind!)

Eine Anekdote noch zum Haus und der Bauherrschaft: Der Bauherr ist ein Ingenieur aus dem Energie-Sektor, der entsprechend grossen Wert auf eine gute Energiebilanz gelegt hat… Als das Haus die Minergie-Zertifizierung bestanden hatte und den „Normal-Betrieb“ aufgenommen hatte (Heizung auf 19°C eingestellt, Boiler in Betrieb usw.), standen wir also auf dem Balkon und plauderten ein wenig, unter anderem natürlich über den Energieverbrauch des Hauses. Worauf er ziemlich stolz das smartphone anstellte und mir in Echtzeit den aktuellen Stromverbrauch zeigte. Um den Grundzustand ohne Haushaltgeräte (Kühlschrank, Licht, Waschmaschinen etc.) aufrecht zu erhalten, verbraucht dieses Haus nicht viel mehr als eine konventionelle Kochplatte!

Und, auch ohne Sicht aufs Meer ist der Ausblick phänomenal…